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Text: Belinda Grace Gardner

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Wie ist das Universum entstanden und woraus besteht die Materie, die uns umgibt? Welche Systeme und Kräfte sind darin wirksam? Und welchen Platz nimmt unsere Welt im kosmischen Gefüge ein? Diese Fragen beschäftigen Wissenschaft und Kunst gleichermaßen. Heute greifen Künstler*innen zunehmend auf wissenschaftliche Methoden zurück, um Erkenntnisse über unsere Existenz in der Welt, im Kosmos, in den inneren und äußeren Dimensionen unseres Menschseins zu erlangen. Wissenschaftler*innen setzen ihrerseits Verfahren der Kunst ein, um jenseits der eingefahrenen Bahnen neue Ideen zu entwickeln. Das Denken des Nichtvorstellbaren, das intuitive Forschen, das Einbeziehen von Zufall und Scheitern im Versuch, das Nichtsichtbare sichtbar zu machen, sind ebenso künstlerische wie wissenschaftliche Vorgehensweisen, um Licht ins Unbekannte zu werfen. In der Ausstellung Forces of Attraction steht die Beschäftigung mit physikalischen Anziehungskräften, die alles Sein auf der Erde und im Kosmos bestimmen, im Zentrum der Begegnung zwischen Kunst und Wissenschaft. Die teilnehmenden Künstler*innen beschäftigen sich mit diesen auf vielfältigen Wegen und in unterschiedlichen Medien – von Malerei, Zeichnung, Film und Fotografie bis hin zu Skulpturen, Versuchsaufbauten und Rauminstallationen.

 

Die Untersuchung öffentlicher Räume ist Kern der künstlerischen Forschung von Marc Einsiedel. Sein Fokus liegt auf Randphänomenen, dem Verborgenen, Beiläufigen und aus der Norm Fallenden in urbanen und gesellschaftlichen Gefügen. In seiner auf Recherche und Dokumentation beruhenden Praxis kommen Materialstudien, Fotografien, Film, Fundstücke, installative, interventionistische, soziale und performative Mittel sowie Kontextverschiebungen zum Einsatz. Aktuell arbeitet er an experimentellen, kooperativen Works-in-Progress, die Beobachtungen unbekannter Flugobjekte oder Blinksignalen ferner Sternenkonstellationen auf der Spur sind. Letztere sind auch Thema seines Versuchsaufbaus von 2024, Teil des längerfristigen *Project Flashback*. Dafür modifizierte der Künstler einen mobilen Hochleistungslaser, mit dem er selbst von jedem Standort aus Signale aussenden kann. Die Lichtintensität x, die Entfernung x und die Lichtfarbe des Lasers werden für jeden Blitz anders bestimmt: eine Form der Rückkopplung über Raum- und Zeitgrenzen hinweg.

 

Wissenschaftliche Verfahren sind Basis der ergebnisoffenen künstlerischen Experimente von Marcel Große, in denen feinstoffliche Prozesse konkret werden. In seinen Versuchsanordnungen, die von Apparaturen aus der Teilchenphysik inspiriert sind, setzt Große eine Fülle von Materialien ein: von Vorrichtungen aus Laborsituationen über Klempnereibedarf bis hin zu Druckluftbehältern aus dem Fahrzeugbau. Das Unerwartete wird dabei stets miteinbezogen, mögliches Scheitern inklusive. SINUS.SCIENCE.CITY (2024) macht eine mittels tragbarem Zeichengerät in situ festgehaltene, immer gleich ausschlagende Lichtlinie sichtbar, die sich über verschiedene Orte der Forschung legt und diese miteinander verbindet. In regelmäßiger Frequenz schwingt die Sinuskurve als fortwährender Puls zwischen Plus und Minus.

 

Der multiperspektivische Blick auf die Kreisläufe des Lebens steht im Mittelpunkt des Werks von Tanja Hehmann. Von der Malerei herkommend, befasst sich die Künstlerin schon lange mit den Zyklen des Werdens und Vergehens, in denen sich unsere Existenz auf der Welt und im kosmischen Gefüge entfaltet. Ihre abstrakt-expressive Bildsprache der Verdichtung und Zerstreuung erwächst aus einem Zusammenspiel von gezielter Setzung und freier Entfaltung des Zufalls, konzentrierter Energieballung und struktureller Auflösung. Die Bildgruppe Finiens rerum (2019) ist nach einer (alt-)lateinischen Wortneuschöpfung für den „Ereignishorizont“ benannt: die Bezeichnung für die Grenze des für uns Wahrnehmbaren im schwarzen Loch, wo sich eine extrem große Masse auf kleinstes Volumen konzentriert.

In dieser Serie steht das bislang hypothetische astronomische Objekt eines weißen Lochs im Fokus, das Masse nicht verschlingen, sondern ausstoßen soll.

 

Den unsichtbaren Vorgängen und immateriellen Transformationsprozessen, die uns in der Realität stets umgeben, ist Simone Kessler in ihren medienübergreifenden Arbeiten auf der Spur, die Video, Fotografie und Rauminstallationen umfassen. Sie verknüpft darin philosophische und wissenschaftliche Fragestellungen und erforscht ökologische Interdependenzen und anthropomorphe Konstrukte von Intelligenz ebenso wie die Auswirkungen der Klimakrise oder die Funktionsweisen der Schwerkraft und der Schallwellen. In feiner Balance halten sich die schwebenden Elemente ihrer Magnet-Installation Curvature (2024), Teil einer Werkgruppe, die aus Darstellungen von Raumzeit und Gravitation schöpft. In ihrem modellhaft-experimentellen Ensemble gibt die Künstlerin der Wirkung der Gravitation, die aus der Krümmung der Raumzeit ableitbar ist, multidimensionale Gestalt: von der räumlichen Form zum Schattenbild, das auf die Fläche zurückgeworfen wird.

 

Julia Münstermann befasst sich im Feld der Malerei mit naturwissenschaftlicher Forschung und der Visualisierung des Unfassbaren. Ihre Bildräume, in denen Absicht und Zufall in ästhetischen Experimenten zusammenfallen, evozieren Ansichten von interstellaren Nebeln, schwarzen Löchern und anderen kosmischen Phänomenen. Die Entstehung von Formationen im Weltraum, die der Konfrontation von Ordnung und Chaos entspringen, wird darin nachgespielt. Diese Prozesse sind auch Gegenstand ihres Films Entropy (2024), der ein kosmisches Werden und Vergehen aufzeichnet, das aus der Interaktion zwischen Tusche und Salzkristallen hervorgeht. In NACHBILD I und II übertrug die Künstlerin das letzte Bild der Voyager-Sonde vor Verlassen unseres Sonnensystems von der technischen Repräsentation in Malerei: Die verschwommenen Rückblicke auf die Erde hinterfragen die Vermittlungsfähigkeit von Bildern und deren Auswirkung auf unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit.

 

In ihren Zeichnungen und Installationen spannt Jana Schumacher einen Bogen vom Mikro- zum Makrokosmos, der bis in die Tiefen des Alls führt. Dabei beschäftigt sie sich mit den Grenzen der Wahrnehmung und der Nachweisbarkeit von Phänomenen, die sich bisher dem Zugriff entziehen – wie der Frage, was vor dem Urknall liegt. Ein Fokus liegt auf der ständigen Suche der Wissenschaft nach Lösungen der großen Rätsel des Daseins, deren Parameter sich kontinuierlich verschieben, und der wissenschaftlichen Verfahren selbst als wandelbare kognitive Instrumente. Ihr Pendel-Ensemble In reference to the invisible (2024) ist Teil einer Werkreihe, die das Verhältnis von Wissenschaft zu religiösen und esoterischen Glaubensvorstellungen im Kontext instabiler Wirklichkeitserfahrung untersucht. Chaos, Prozesse des Zerfalls und Momente der Unbeständigkeit werden dabei als immanente Gesetzmäßigkeit und Grundlage individueller und kollektiver Handlung betrachtet.